Starke Erzählerstimmen:
»In mir sind tausend junge Männer,
Charles. Sie drangen ein, sie gruben sich ein. Als sie sich zurückzogen,
Charles, dachte ich, sie zögen sich zurück. Aber nein, nein, jetzt bin ich
sicher, es gibt keinen einzigen, dessen herrlich vergifteter Dorn nicht in
meinem Fleisch festsitzt, an irgendeiner Stelle. Gott, Gott, wie ich ihre
Stachel, ihre Dornen liebte! Gott, wie ich es liebte, gehalten und geschunden zu
werden. Ich glaubte, die Medizin von Zeit und Reisen würde vielleicht die Spuren
der Hände zum Verschwinden bringen. Aber jetzt weiß ich, dass ich mit
Fingerabdrücken übersät bin. Es gibt keinen Fleck meines Fleisches, Chuck, der
nicht einer Handflächenabdruck-Kartei des FBI, einem ägyptischen Papyrus von
Fingerstigmata gleicht. Ich bin von tausend reizenden Jungen durchbohrt worden
und dachte, ich würde nicht bluten, aber, Gott, jetzt blute ich. Ich habe im
ganzen Haus geblutet. Und meine Freunde, die Schuld und Gewissen leugneten,
haben sich in einem heftigen unterirdischen Wogen von Fleisch hier
durchgezwängt, sich gegenseitig mit Körper und Mund bearbeitet, auf die Fußböden
geschwitzt und die Wände mit ihren Qualen beschossen und ihrem Herabsinken,
jeder vom Kreuz des anderen aus. Das Haus wurde von Mördern erstürmt, Charlie:
Jeder versuchte, die Einsamkeit des anderen mit seinem kurzen Schwert zu töten,
keiner fand ein Ende, nur ein momentanes Stöhnen der Erholung. Ich glaube nicht,
dass es in diesem Haus jemals einen glücklichen Menschen gegeben hat, Charles,
das begreife ich jetzt. Oh, es sah alles so glücklich aus. Wenn man so
viel Gelächter hört und so viel zu Trinken sieht und in jedem Bett menschliche
Sandwiches findet, rosaweiße Bissen, auf denen man herumkauen kann, dann denkt
man: Wie viel Freude! Wie glücklich-schön!«
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Ray Bradbury in »Der Fluch des
Neuen«
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»Er wollte noch nicht weg; er konnte sich
nicht trennen – und vielleicht für immer – von diesem Schiff, das auf eine so
lange und gefahrvolle Reise ging, um beide stürmische Kaps herum; das Schiff, in
dem etliche tausend seiner schwerverdienten Dollars steckten; das Schiff, auf
dem als Kapitän sein alter Kamerad fuhr, ein Mann, fast so alt wie er selber,
der nochmals ausfuhr, allen Schrecken des erbarmungslos klaffenden Rachens zu
begegnen; nein, er wollte und konnte nicht Abschied nehmen von dem, was so
randvoll war von allem, woran sein Herz hing – der arme alte Bildad zauderte
lange, maß mit ziellos geschäftigen Schritten das Deck, lief hinunter in die
Kajüte zu einem allerletzten Abschiedswort, kam zurück an Deck und schaute
luvwärts, schaute über die weiten, endlosen Wasser, deren Grenzen, fern und
unsichtbar, die östlichen Kontinente bilden; schaute landwärts, schaute
aufwärts, schaute nach rechts und nach links, schaute überall und nirgends hin,
und schließlich schoss er mechanisch eine Segelleine um ihren Belegnagel auf,
fasste krampfhaft die Hand des dicken Peleg, und, eine Laterne hochhaltend, sah
er ihm einen Augenblick heroisch ins Gesicht, als ob er sagen wollte: Nichts da,
Freund Peleg, ich kann’s ertragen; jawohl, ich halte aus.«
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Herman Melville in »Moby
Dick«
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»... und Angela lag unter ihm, ein
hominider Asteroid, der weich und warm und sehnsuchtsvoll die Landung des
terrestrischen Raumschiffes erwartete. Das schwere Keuchen des Sonnenwindes lag
über dem All, der parsekweiten Finsternis, die nur durch das Glühen von
Raumschiff und Landeplatz gemindert wurde. Robby senkte sich langsam, dirigierte
die Planetenfähre, bis die zahllosen synaptischen Computer des Limbischen
Systems keinen Zweifel mehr an der Richtigkeit des Rendezvous-Punktes besaßen
und der letzte Düsenstoß das Raumschiff hineinführte in die Schleuse des
Asteroiden, tiefer in den Landetunnel hinein, und die Reibungshitze ließ
Trägerschiff und Asteroiden verschmelzen, so dass sie eins wurden, in Gestalt
und in Gedanken, und sich hinaufschaukelten bis zu jenem Punkt, wo das
Gitternetz des Kosmos zerriss und sich die Pforten zu einer höheren,
unbegreiflichen Dimension öffneten, in dem es nichts gab, nichts, nur sie beide
auf ihrem himmelhohen Flug über die Grenzen von Raum und Zeit ...«
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aus: »Artefakt 5578« in »Nur keine Angst
vor der Zukunft« von Thomas Ziegler
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»Was für Abendessen es in unserem Haus
gab!
Ach was, Abendessen – was für Frühstücke und Mittagsmahlzeiten! Obwohl es immer etwas Neues gab, kam uns doch alles neu und vertraut vor. Wir wurden niemals gefragt, denn fragt man Kinder, was sie wollen, wissen sie nichts zu sagen, und wenn man ihnen ankündigt, was auf den Tisch kommt, lehnen sie es womöglich ab. Eltern kennen das. Es ist ein heimlicher Krieg, der jeden Tag neu gewonnen werden muss. Und Großmama verstand zu siegen, ohne im Geringsten zu triumphieren. ›Hier ist das geheimnisvolle Frühstück Nummer neun‹, sagte sie und stellte die Teller vor uns hin. ›Absolut ungenießbar, ich hätte mich am Herd fast übergeben!‹ Wir überlegten, wie einem Roboter wohl übel sein konnte, doch ließ sich unser Hunger kaum noch bezähmen. ›Das schreckliche Mittagessen Nummer siebenundsiebzig‹, verkündete sie. ›Aus Plastiksäcken, Petersilie und Kaugummi, den ich unter Kinositzen gefunden habe. Ihr müsst euch hinterher die Zähne putzen, sonst schmeckt ihr das Gift noch den ganzen Nachmittag.‹ Wir stritten uns um einen Nachschlag.« |
aus: »Gesänge des Computers« in »Gesänge
des Computers und andere Erzählungen« von Ray
Bradbury
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„Wir fuhren auf der Viale del Muro. Ich betrachtete
die Aurelianische Mauer mit dem Park der Villa Medici dahinter. Auf der anderen
Straßenseite, der linken, tauchte zwischen Bäumen das Galoppatoio der Villa
Borghese auf. So viel Grün!, dachte ich, und sogleich quälte mich die Banalität
dieses Gedankens, hasse ich doch alles Ungefähre im Umgang mit der Natur, weil
es stets der Unwissenheit entspringt. Ein Mann, der wusste, würde nie so
viel Grün sagen, wenn er Bäume meinte, er würde Pinien sagen, Zypressen
oder Eichen, Kastanien, Zedern oder Lebensbäume, und selbst das war schon
ungenau genug, Laienwissen, durch dessen grobe Maschen das Differenzierte, das
Wert und Wunder der Natur ausmachte, ins Seichte des um sich greifenden
Naturbanausentums fiel. Schirmpinie und Scheinzypresse, Steineiche und
Rosskastanie, Atlaszeder und Thuja, wenn sie es denn sind, halte ich für das
Mindeste, das einer als Maß an sich anlegen lassen muss, der dazugehören will.
Und der wirklich Wissende, der Genotyp und Phänotyp bedenkt, der das Besondere
im Allgemeinen zu entdecken imstande ist und selbst das eng Verwandte noch
scheiden kann, hat auch die wissenschaftlichen Namen parat und vermeidet ihren
Gebrauch nur in Gesellschaft Unkundiger, um nicht elitär zu erscheinen. So viel
Grün jedenfalls ist unverzeihlich, ist Naturbetrachtung zum Autofenster hinaus,
und weniges verachte ich mehr.“
aus: „Klingt“ von Horst Stern
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